Peter Brunners Buechnerblog

Monat: Januar 2018

Rotraud Pöllmann verstorben

Die langjährige, verdiente ehrenamtliche Leiterin des Museums Büchnerhaus in Riedstadt-Goddelau, Frau Rotraud Pöllmann, ist nach kurzer schwerer Krankheit am 29. Januar 2018 im Alter von 71 Jahren verstorben.


Frau Rotraud Pöllmann hat die Geschicke des Museums in Georg Büchners Geburtshaus seit den ersten Ausbau- und Vereinsgründungs-Überlegungen 1995 begleitet. Mehr als zwanzig Jahre lang wurde so „Das Büchnerhaus“ und „Frau Pöllmann“ weit über Riedstadt hinaus zum Synonym – annähernd jeder Besuch, jede Presse-Anfrage, jeder Forschungsbesuch wurde von ihr betreut.
Frau Pöllmann hat sich in den Jahren der Museumsbetreuung umfassendes Wissen angeeignet. Neben den Daten zu Georg Büchners Leben und Werk waren ihr auch die Biographien und Geschicke seiner Geschwister vertraut. Dazu kam breites Wissen zu Orts- und Regionalgeschichte, Bezüge zur europäischen Geschichte und profunde Literaturkenntnis.
Zur Ausgestaltung des Museums durch die beauftragten Designerinnen hat sie wesentlich beigetragen. So entstand die Dauerpräsentation „Von Goddelau zur Weltbühne“, die in bemerkenswerter Weise sowohl ihrem Gegenstand wie den besonderen Umständen des historischen Hauses entspricht.

Mit ihrer verbindlichen und zurückhaltenden Art hat sie das Bild des Büchnerhauses als der Heimat Georg Büchners, dem Ort, an dem Büchner „zuhause“ ist, geschaffen. Die über 40.000 Gäste, die das Museum in den vergangenen 20 Jahren besuchten, haben über die nüchterne Informationsvermehrung hinaus Emotion und Empathie wahrgenommen und mitgenommen.
Frau Pöllmann hat Gruppen koreanischer Germanisten ebenso angemessen betreut und informiert wie die Schülerinnen und Schüler der Riedstädter Grundschulen, die im Rahmen der „Heimatkunde“ vorbeikommen. Stets ist es ihr gelungen, aus dem Schatz ihres Wissens Anknüpfungspunkte zu den Interessen der Besucherinnen und Besucher herzustellen. Aus einem Besuch im Büchnerhaus ist durch sie eine bemerkenswerte und außergewöhnliche Erinnerung für Viele geworden.

Neben der Betreuung von Ausstellung und Besuchern hat Frau Pöllmann auch Ordnung, Zugänge und Aufstellung der kleinen Bibliothek und der Sammlung von bildender Kunst und Druckgrafik zu Georg Büchner und seinem Werk organisiert und das Netzwerk des Bücherhauses zu Forschung, Publizistik und Wissenschaft unterhalten.

Für Ihre Tätigkeit erhielt sie wiederholt öffentlichen Dank und Auszeichnung. 2014 überreichte ihr der Verein der Freunde und Förderer des Literaturland Hessen den „Hessischen Literaturlöwen“.

Frau Pöllmann hatte aufgrund ihres Alters darum gebeten, zur Jahreswende 2016/17 abgelöst zu werden. Zum 15.2. 2017 hat sie ihre Aufgabe an einen Nachfolger übergeben; ihm, dem Museum und dem Förderverein Büchnerhaus blieb sie als Ratgeberin und Unterstützerin erhalten.
Selten trifft die Formulierung „unersetzlicher Verlust“ so eindeutig zu. Der Stadt Riedstadt, dem Förderverein, dem Museum Büchnerhaus und der ganzen „Büchnergemeinde“ weit über Deutschland hinaus geht eine bedeutende Persönlichkeit verloren. Wir werden sie nicht vergessen.

Auf Wunsch der Familie wird Frau Pöllmann ohne Trauerfeier und im engsten Kreis bestattet.

 

Ab Donnerstag, dem 1. Februar, liegt im Büchnerhaus ein Kondolenzbuch aus. 

 

 

von Peter Brunner

 

Peter Brunner

Peter Brunner

„ …ich mit dir über dein ferneres Gedeihen der Zukunft beruhigt entgegen sehen darf”*

Für die Kreisvolkshochschule Gross-Gerau biete ich in den nächsten Monaten, beginnend am 5. Februar,  eine Reihe von Abendveranstatungen an, bei denen sich Interessierte in kommunikativer Runde mit Leben und Werk von Georg Büchner und seinen Geschwistern – der „fabelhaften Büchnerbande” … – vertraut machen können.

 

Im Büchnerhaus

„Gemeinsam an einem Tisch” heißt die Installation im ersten Raum des Goddelauer Büchnerhauses, wo sinnbildlich auf den ungewöhnlich engen Zusammenhalt der Büchner-Geschwister hingewiesen wird. Der oft als streng beschriebene Vater Ernst Büchner war in Wahrheit ein ungewöhnlich interessierter und seinen Kindern zugewandter Vater, von dem überliefert ist, dass er den täglichen Austausch mit ihnen suchte und forderte.

Mit jedem einzelen der Kinder hatte er Sorgen und Mühen, die andere schon bei einem Kind weit überfordert hätten: nach Georgs dramatischer Verwicklung in die Landbotenverschwörung, Flucht, Exil und frühem Tod scheiterte der nächste Sohn, Wilhelm, am Gymnasium und wurde später auch noch der Gießener Universität verwiesen. Die beiden Töchter Mathilde und Luise blieben, eine Katastrophe für einen bürgerlichen Vater des 19. Jahrhunderts, unverheiratet. Ob Luises Einsatz für Frauenrechte und Mädchenbildung, ihre Pubikationen und Vorträge ihn später dafür entschädigt haben, wissen wir nicht. Die jüngeren Söhne trieben 1848 Revolution in Gießen (der Vater erklärt öffentlich, entsprechende Gerüchte seien falsch und er werde Verleumder zum Duell fordern!), in die Auseinandersetzungen um das Ende der Paulskirchendemokratie an der Bergstraße machte Alexander 1849 mit der Schwester Mathilde einen „Pfingstausflug”, bei dem er verhaftet wird, Ludwig wurde für sein erstes Buch in Tübingen die Lehrerlaubnis entzogen, Alexander verlor als Verschwörer den „Access” als Jurist, er erhielt Berufsverbot. Ob und wie der Vater die spätere Prominenz seiner anstrengenden Kinder geschätzt hat, ob er stolz auf sie war – wir wissen es nicht. Häufig gedeutet und meist als Zeichen von kühler Distanz (miß)verstanden ist der einzige * Brief an eines seiner Kinder, den wir kennen: der vom 18.12.1836 an Georg in Zürich. 

Ein neues Licht auf Leben und Persönlichkeit der Mutter Caroline (geb. Reuss) wirft ein Fund, über den hier bei Gelegenheit (und natürlich bei den angekündigten Treffen) ausführlicher zu berichten sein wird: der Sohn ihres Cousins Johann Bechtold, Carl, hat ein bisher völlig unbekanntes, ausführliches Tagebuch hinterlassen, das eine Nachfahrin sorgfältig transkribiert und ediert hat. Carl war offenbar heilfroh, dass er, was wohl überlegt worden war, die von ihm als hypochondrisch beschriebene Verwandte an Ernst Büchner los wurde …

 

Die Galerie am Büchnerhaus, der frühere Kuhstall des Anwesens. Heute Veranstaltungsraum. Im ersten Stock Museums- und städtisches Kulturbüro.

 

Ohne Frage sind die Büchners im 19. Jahrhundert ebenso außergewöhnlich wie exemplarisch gewesen: außergewöhnlich als berühmte Geschwister, exemplarisch für die Themen, mit denen sie sich beschäftigten. Kommunismus, Sozialismus und Materialismus, Frauenrechte und Industrie, soziales Engagement und liberale Politik, Literatur und Geschichte, Kommunal-, Landes- und Staatspolitik haben sie betrieben und beeinflusst. Karl Gutzkow nennt sie „ … von demselben göttlichen Feuer ergriffen”. Bei den Treffen bietet sich daher neben der Bekanntschaft mit außergewöhnlichen Hessen und ihrer persönlichen Geschichte auch ein besonderer Blick auf die Geschichte von Land und Leuten im 19. Jahrhundert.

Die Treffen finden in der Galerie am Büchnerhaus statt und bieten neben Information und Austausch auf Wunsch stets auch den Besuch des Museums als Ergänzung. Die Volkshochschule bittet um Anmeldung, am einfachsten hier via Internet.

Im „Flyer” finden sich alle erforderlichen Informationen:

 

 

 

 

 

 

von Peter Brunner

 

Peter Brunner

Peter Brunner

Sich „ … allen ungestümen Drängens schlechterdings (zu) enthalten“

„Was geschah mit Woyzecks Schädel?“

Unter diesem Titel spricht der Literaturdetektiv und Freund des Büchnerhauses, Reinhard Pabst, am Sonntag, dem 21. Januar 2018 um 11 Uhr bei einer Matinee in der Galerie am Büchnerhaus.

Dabei wird dem Förderverein ein wertvolles historisches Dokument als Dauerleihgabe überreicht.

Am 27. August 1824 wird in Leipzig mitten auf dem Marktplatz der Mörder Johann Christian Woyzeck mit dem Schwert hingerichtet. Im Straßburger Exil erinnert sich der junge Georg Büchner an Berichte über den Kriminalfall, die er in Darmstadt gelesen hatte. Kürzlich tauchte im Antiquariatsbuchhandel ein Flugblatt auf, mit dem „der Stadtmagistrat zu Leipzig“ am 23. August Woyzecks Hinrichtung ankündigt und auffordert, sich während der Hinrichtung „ … allen ungestümen Drängens schlechterdings (zu) enthalten“.

Der Förderverein Büchnerhaus konnte die Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen und die Sparkassen-Stiftung Groß-Gerau zur Unterstützung gewinnen. Das Flugblatt wurde als weiterer Teil der wertvollen Sammlung von „Büchneriana“ angeschafft, zu der bereits mehrere bedeutende Handschriften Georg Büchners gehören. Ab Januar 2018 kann es im Büchnerhaus als Dauerleihgabe gezeigt werden. Dort wird es künftig neben den Originalausgaben von Büchners Doktorarbeit „Über die Nerven der Barbe“, der ersten Werkausgabe von 1850 und seinen Übersetzungen Victor Hugos präsentiert. Zur Information der Besucher dient diese Transkription des heute von vielen nicht mehr lesbaren Fraktur-Textes.

Das Ausstellungsstück ist ein wertvolles Objekt, weil es hervorragend dazu geeignet ist, die Umstände der Zeit zu erläutern. Die Hinrichtung Woyzecks war die letzte, die in Leipzig öffentlich stattfand. Sie wurde europaweit wahrgenommen und diskutiert. Auch als Hinweis auf die Arbeitstechnik Büchners, sich im literarischen Werk auf reales Geschehen zu beziehen, ist das Blatt zur Information der Museumsbesucher*innen hervorragend geeignet.

Reinhard Pabst forscht und recherchiert seit vielen Jahren über Literatur und ihre Geschichte(n).Mehrere bedeutende Funde, darunter zwei bedeutende Briefe Büchners aus dem Exil, sind seiner akribischen Arbeit zu verdanken.

Das Büchnerhaus in Riedstadt Goddelau ist im Individualverkehr leicht zu erreichen. In der Nähe stehen ausreichend Parkplätze zur Verfügung.

Seit dem 10. Dezember fährt die Buslinie 40 als „Büchnerlinie“; sie verbindet komfortabel den Hauptbahnhof Darmstadt mit dem Büchnerhaus (Station Goddelau-Rathaus). Hier der link zum aktuellen Fahrplan.

 

von Peter Brunner

 

Peter Brunner

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