Peter Brunners Buechnerblog

Monat: Februar 2016

Ein Luxusbegräbnis

Zum letzten Beitrag über die verramschte Büchner-Werkausgabe schreibt mir erfreulicherweise Dr. Herbert Wender und gesteht meinen Thesen zur Bedeutung derselben immerhin „einen gewissen Wahrheitsgehalt” … :

 

„ … bietet die Edition auch ihren Kritikerinnen einen bisher nicht anders verfügbaren Werkzugriff.”
Als einer der mitgemeinten Kritiker der Marburger Büchner-Ausgabe möchte ich das so nicht unkommentiert stehen lassen, denn es kommt doch sehr darauf an, was man unter „Werkzugriff” versteht, um dieser Aussage einen gewissen Wahrheitsgehalt zuzubilligen. In trivialer Weise richtig (Danke! pb) ist sie etwa, wenn als Alleinstellungsmerkmal gelten soll, daß auf den Stummeltext, auf eine gewisse divinatorische Auffassung von Büchners Werk den „Lenz”-Text – gewissermaßen als ‚Fassung letzter Hand‘- verkürzt, so nur in dieser Ausgabe ‚zugegriffen‘ werden kann. (Aber gerade darauf hätten die Kritikerinnen gern verzichtet!)

Richtig ist aber zweifellos auch, daß die jeweiligen Faksimile-Teile den wissenschaftlichen ‚Werkzugriff‘ über die handschriftliche Überlieferung beträchtlich erleichtern, und gerade deshalb erscheint es als Glücksfall, daß das Vermarktungsziel der hoch subventionierten Ausgabe bereits jetzt erreicht ist. Da das Copyright bei der Mainzer Akademie liegt und überdies das Weimarer Goethe- und Schiller-Archiv bereits die Erlaubnis zur Web-Veröffentlichung der vom Archiv zur Verfügung gestellten Scans erteilt hat, darf man hoffen, daß das ebenfalls mit öffentlichen Mitteln geförderte Büchner-Portal diese Scans ‚zeitnah‘, wie es heißt, auch denjenigen zugänglich macht, die sich an der Ramsch-Aktion nicht beteiligen wollen.

Für eine ganze Reihe anderer Aspekte indessen, die im Wissenschaftsbetrieb mit dem Begriff ‚Werkzugriff‘ verbunden werden können, ist die zitierte Aussage schlicht falsch, weil mit Poschmanns Studienausgabe (Klassikerverlag, mittlerweile auch als Taschenbuch-Kassette) immer schon eine zuverlässige Alternative zur Verfügung stand.
Dr. Herbert Wender

Ich bin ganz einverstanden mit diesen Formulierungen und gestehe gerne, dass da bei mir der Bibliomane mit dem Kritiker durchgegangen ist. Und Poschmanns Editionsverdienste wollte ich nicht im Geringsten schmälern – spätestens, seitdem ich dieser 2005 das Büchnersche Schülergedicht auf Schillers Graf Eberhardt verdanke, ist sie mir unersetzlich geworden (Poschmann hat daran offenbar Gefallen gefunden, er zitiert unsere „Welturaufführung” jedenfalls hier auf seinen websites, die zu Text und Textkritik, leider nur bis ca. 2007, ohnehin eine wichtige Quelle sind).

Gleichzeitig werde ich an ein Interview erinnert, das Jan-Christoph Hauschild zum Erscheinen der „Danton-Bände” Radio Bremen gegeben hat (und das hier vollständige Wiedergabe verdient hätte). Dort sagte er u.a. :

 

Ein Luxusbegräbnis ist es. Der Versuch, sich mit diesem elfpfündigen Monument selbst als endgültige Definitionsmacht zu inthronisieren.

Frage: Was stört Sie denn so ungemein an dieser – ich bleibe dabei – opulenten Ausgabe.

Unter anderem die Opulenz. Mit der gleichen Emsigkeit Heine zu edieren, hieße aus den 23 Bänden der Düsseldorfer Heine-Ausgabe 75 zu machen.


Frage: Ich hatte bisweilen den Eindruck, daß man mit diesem Festungsbau – wie Sie sagen – einen Schlußstein setzen wollte.

Einen Schlußstein, der gleichzeitig ein Epitaph fremder Unwissenheit sein sollte. Haben Sie das auch bemerkt?

Frage: Sie meinen die Kritik an Forscherkollegen? Die ist in der Tat augenfällig. Über Dantons vierfachem Guillotinentod wölbt sich ja ein ganzer ein Stammbaum der Irrtümer und Fehldeutungen aus der Pionierzeit der Büchner-Philologie, den die Marburger bis in die feinsten Verästelungen verfolgen.

Wobei ernsthafte Philologen hier Seite an Seite stehen mit Feuilletonisten. Freilich wuchert der Stammbaum nicht überall, sondern nur dort, wo es ziemlich erscheint. Es ziemt zum Beispiel bis heute nicht, daran zu erinnern, daß die Marburger Entdeckung von Heine-Spuren in „Danton’s Tod“ nur eine Wiederentdeckung war, sie hatte zwei Vorgänger. Und lasen wir vor 20 Jahren noch, Büchners Briefe an die Familie seien eigentlich an die Mutter gerichtet, erscheint heute der Vater als der eigentliche Adressat. Doch nach dem Motto: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern, werden die eigenen Dummheiten unter den Teppich gekehrt. So wird verschleiert, daß Wissenschaft prinzipiell ein offener Erkenntnisprozeß ist, in dem die vergangenen Irrtümer unter Umständen nützlicher sind als die eigene Besserwisserei.

Es müssen also alle die, die schon kritisiert haben, wie spät mir dieses Begräbnis der Luxusklasse aufgefallen war, weil sie nichts mehr vom Leichenschmaus abbekamen (es sind nur noch ein paar Einzelbände zu haben …) nicht so arg trauern. Und wenn sie sie immer noch nicht haben, endlich die Poschmann-Ausgabe kaufen!

 

von Peter Brunner

Pro captu lectoris habent sua fata libelli*

To whom it may concern:

 

Die Wissenschaftliche Buchgesellschaft trennt sich gerade zu Spottpreisen von den dort noch vorhandenen Reste von

Büchner, Georg: Sämtliche Werke und Schriften

Historisch-kritische Ausgabe mit Quellendokumentation und Kommentar (Marburger Ausgabe)

wbg-darmstadt.de_GBUechner_WA

Büchner, Georg Sämtliche Werke und Schriften Foto: wbg Darmstadt

 

Ob das als Reaktion auf die nicht verstummende Editionskritik zu verstehen ist, bleibt zunächst dahingestellt. Immerhin und jedenfalls  bietet die Edition auch ihren Kritikerinnen einen bisher nicht anders verfügbaren Werkzugriff.

Ich habe mir gerade das Paket aus den Bänden 4, 6, 7 und 9 (Übersetzungen, Woyzeck, Leonce und Lena und Philosophische Schriften) zum Mitgliedspreis von 60 € bestellt, Nicht-Mitglieder können das für immer noch gerade mal 80 € kriegen, und zwar unter dieser Web-Adresse.

Falls dies die eine oder andere Leserin motiviert, Mitglied der wb zu werden, bin ich gerne bereit, mich als Werber nennen zu lassen …

* zum vollständigen Zitat, seiner Herkunft und Bedeutung informiert wikipedia hier

PS: ich habe mein Autorenbild hier auf mehrfachen Wunsch guter Freundinnen geändert, denen das nicht freundlich genug erschien – das erscheint übrigens den E-Mailabonnentinnen nicht wegen meiner übergroßen Eitelkeit, sondern nur zum Zwecke der besseren Auffindbarkeit im Web. Besser? 

Peter Brunner

von Peter Brunner

Danke den Wörtlichnehmern

Zum 179. Todestag Georg Büchners am 19. Februar 2016 gesellt sich in diesem Jahr unüberhörbar der einhunderste DADA-Geburtstag – zwei Ereignisse am gleichen Ort.

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Die „Rekonstruktion” von Georg Büchners Sterbezimmer in der Darmstädter Ausstellung von 2013

 

„1916 wurde an einem Februarabend an der Spiegelgasse 1 in Zürich das Cabaret Voltaire aus der Taufe gehoben. Ein Urschrei, der bis heute nachhallt, begleitete den Akt: „Dada, Dada, Dada!”. Tristan Tzara, Hans Arp, Hugo Ball, Emmy Hennings, Marcel Janco, Sophie Taeuber und Richard Huelsenbeck röhrten, girrten, schnalzten „Dada”. Sie tanzten, sangen und stampften „Dada”.

Das Cabaret Voltaire wurde zum Melting Pot für Nationalitäten, Kunstgattungen und Stile. Dada war ultramodern, provokativ, erfinderisch und hob die Trennung von Leben und Kunst auf. Zu Beginn der zwanziger Jahre war Dada bereits ein weltumspannendes Netzwerk.

Mit ihrem „Mouvement international” und ihren „Weltkongressen” besetzten und durchschweiften die Protagonisten die Metropolen der Welt, um aus dem Globus eine Filiale des Dadaismus zu machen. Dada wurde zur Urbewegung der Avantgarde, ohne die Surrealismus, Pop Art, Fluxus, Mail Art oder Punk nicht denkbar gewesen wären und die bis in unsere Gegenwart hinein Künstler, Autoren, Designer elektrisiert.

Dada steht für den radikalen Versuch, bestehende Vorstellungen und Werte ad absurdum zu führen – eine Strategie, die noch immer aktuell ist.

Die eigentliche dadaistische „Chronique Zurichoise” endet im Juni 1919. Dank einer der weltweit grössten Dada-Sammlungen im Kunsthaus Zürich und dem 2004 wiedereröffneten Cabaret Voltaire ist Zürich bis heute der dadaistische Nabel der Welt geblieben.

(dada Zürich 100 2016)

Zuerich, Spiegelgasse 12

Zürich, Spiegelgasse 12 (rechts, mit Erker), Georg Büchners letzter Wohnort, und Spiegelgase 14, links daneben, Lenins Wohnort 1916/17

Verbindet Büchner und DADA mehr als nur der Zufall der örtlichen Nähe? Macht es Sinn, den Unzeitgemäßen darauf zu prüfen, ob ihn bewegt hätte, wie die Nachbarn Texte und Haltungen auf den Kopf stellten, um sie besser zu verstehen?

Für Oskar Pastior war das keine Frage.

„lockvögel übers moor gerollt
ich tarne mich diebisch indem ich versinke
ein schopf gras lugt edel im nervenkostüm
wenn der ball auftaucht hat woyzeck in der
spartanischen suppe wieder mal angst vor
dieser jugend: wie weit noch bis zur rune

vom frühtau zum abendgestell glotzen wir kome-
ten in die gegend oder warzen uns ganglien –
meine warens wieder nicht auf dieser rollbahn

Es gibt nur noch Interjektionen: Darum danke ich den Wörtlichnehmern quer durch die Jahrhunderte, und so dünn auf dem Globus gesät, unter ihnen irgendwo ja auch dem Georg Büchner; danke Oulipo, den Oulipoten, ob sies wissen oder nicht, und den Büchermachern unter ihnen sowieso.”

(Aus Oskar Pastiors Dankesrede für den Büchnerpreis 2006.)

Peter Brunner

 

von Peter Brunner