Peter Brunners Buechnerblog

Monat: April 2014

Die Jubiläen um und alle Fragen offen – wo ist das Aretino-Drama?

Nach dem Ende der breit gefeierten Georg-Büchner-Jubiläen taucht eine kleine Neuerscheinung auf, die sich mit einem immer wieder diskutierten Aspekt seines überschaubaren Werkes beschäftigt. In dem rührigen Berliner Anthea-Verlag erschien soeben „Das verschwundene Manuskript“, eine Erzählung von Heidi von Plato, die die Frage, ob es das imaginierte Werk, ein Aretino-Drama, überhaupt gegeben hat, nicht stellt.

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Es ist mir eine nicht zu unterschätzende Mühe gewesen, in den zahlreichen Neuerscheinungen der vergangenen Jahre, die sich mit literarischem Anspruch mit Georg Büchners Leben beschäftigen, die unterstellten, vermuteten oder imaginierten Geschlechtsverkehre des armen Jünglings zu ertragen. Bei der Lektüre einiger davon hatte ich begonnen, Strichlisten darüber zu führen, bis ich das Spiel im unsäglichsten von allen, „Das Herz so rot“ von Udo Weinbörner (für den alle mir bekannten Mäntel christlicher Nächstenliebe zum erbarmungsvollen Darüberlegen nicht groß genug sind), bei einer deutlich zweistelligen Zahl beendete.

Auch im „Verschwundenen Manuskript” geht es früh zur Sache, auf Seite 13 zieht Minna ihm „sein langes Unterhemd, dass (sic) einen freien Schritt besaß, aus“ und endet „solche Innigkeit zeigte sie sonst nur beim Gebet“. Glücklicherweise bleibt es im Text bei diesem einen Mal, und die kleine Geschichte, die bereits im Strassburger Exil 1833 einsetzt, liest sich danach schnell und unterhaltsam.

Für von Plato steht es ausser Frage, dass Büchner in Straßburg an einem Aretino-Stoff gearbeitet hat. Sorgfältig zählt sie die bekannten Arbeiten auf, die ja bekanntlich schon gereicht hätten, um andere Autoren für Jahrzehnte zu beschäftigen (wobei die beiden Hugo-Übersetzungen unerwähnt bleiben); den Gedanken, wann um Himmels Willen denn noch mehr überhaupt hätte entstehen können, erspart sie uns. Es geht, so berichtet Georg der Verlobten, im Stück um Aretino im Freudenhaus, wo er „mit den Huren so richtig über die Kirche her” zieht. Natürlich ist Minna gegen diese Arbeit, erklärt sich das schließlich aber so: „vielleicht strengst du dich so an, um deinem Vater zu beweisen, dass mit dir alles gut ausgeht?“. Nun wissen wir allerdings genug, um sehr viel sicherer zu sein, dass ein Aretino-Stück Ernst Büchners Mißfallen erregt hätte, als wir Minna Jaeglé unterstellen dürften, sie sei damit nicht einverstanden gewesen. Dem Vater zuliebe hat Georg Büchner ganz sicher nicht an einem Aretino-Stoff gearbeitet, bei allen Unsicherheiten und Möglichkeiten dieses kleinen Literaturkrimis kann das keine Erklärung sein.

Eine schöne Erzählvariante hat die Autorin für das eigentliche Rätsel gefunden – im Text tauchen drei Möglichkeiten dafür auf, wie und vom wem der Text beseitigt wurde. Darüber soll hier mehr nicht verraten werden. Immerhin erscheint schließlich in Zürich die historisch verbürgte Person Thomas Lovell Beddoes, ein Brite mit außerordentlichem Lebenslauf, der Büchner in Zürich wohl wirklich gekannt hat. Möglicherweise ist Beddoes in Büchners letzten Stunden als Arzt an seinem Totenbett gewesen; und – das darf hier verraten werden und wird auch nicht erstmals erörtert – das macht ihn auch für von Plato zum potentiellen Manuskript-Entwender.

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Thomas Lovell Beddoes

(gemeinfrei, via http://en.wikipedia.org/wiki/Thomas_Lovell_Beddoes)

Leider wird Beddoes noch im letzten Satz der Erzählung arges Untrecht getan. Er habe, so heißt es da, „unglücklich verliebt in einen Bäckerjungen” 1849 Selbstmord begangen. Die wahre Geschichte ist spannender: Beddoes war 1848 mitten im Getümmel der deutschen Revolution, stürzte dort vom Pferd, erlitt schwerste Verletzungen, die zu Amputation beider Beine führten, und beging am 26. Januar 1849 im Krankenhaus in Basel Selbstmord. Auch die Geschichte seines Nachlasses, der immerhin den gesuchten Text hätte beinhalten können, ist eine Kriminalgeschichte: auf der sehr sorgfältig gepflegte Web-Site www.phantomwooer.org wird das Schicksal von Beddoes Nachlass, schließlich in einer Kiste verschlossen, mit diesem Ende berichtet: „no more was ever heard of the tin box.“

Heidi von Plato hat eine Erzählung über einen spannenden Aspekt in Georg Büchners Biographie geschrieben, die uns mit dem Besten zurücklässt, das sich Büchner-Enthusiasten wünschen können: dem Wunsch, mehr von und über Georg Büchner zu lesen und zu wissen.

 Heidi von Plato: Das verschwundene Manuskript.
Ein Georg-Büchner-Roman.

ISBN: 978-3-943583-30-4
Hardcover, 14 x 21 cm, 8 Illustrationen, 196 S., 12,90 €

 

Die Autorin stellt das Buch am 28. April in der Freien Volksbühne Berlin vor 

 

von Peter Brunner

Erster „Hessischer Literaturlöwe” an Rotraud Pöllmann im Büchnerhaus verliehen

Der „Verein der Freunde und Förderer des Literaturland Hessen“ hat Rotraud Pöllmann, die langjährige verdiente Leiterin des Goddelauer Büchner-Hauses, mit seiner neuen

Auszeichnung „Hessischer Literaturlöwe” ausgezeichnet.

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Vor der Benefizveranstaltung für den Goddelauer Verein, bei der Heiner Boehncke und Hans Sarkowicz ihre neuesten Veröffentlichung, die fiktiven „Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an seinen Bruder in Paris“  präsentierten, überreichte Heiner Boehncke als Vorsitzender der völlig überraschten Rotraud Pöllmann die Verleihungsurkunde.

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Er nannte Rotraud Pöllmann „eigentlich den guten Geist, wenn er denn nicht leibhaftig anwesend wäre” und betonte ihre unersetzlichen und hoffentlich noch lange fortgesetzten Verdienste.

In der Tat können Frau Pöllmanns Verdienste um das Andenken an Georg Büchner kaum hoch genug geschätzt werden. Hier ist ja schon mehrfach darauf hingewiesen worden, wie viel „nachhaltiger“ im eigentlichen Sinn dieses missbrauchten Begriffes die „Graswurzelarbeit“ der verdienstvollen Ehrenamtler zur Bewahrung, Präsentation und Aktualisierung unseres historischen Erbes ist. Besonders verglichen mit medienwirksamen, aber folgenlos verglühenden Hypes, wie wir sie in Sachen Büchner gerade in den vergangenen Jahren auch erleben durften. Dies übrigens um so mehr, als diese „Hypes“ in der Regel auch noch viel Geld verpulvern, während die beständigen Arbeiten oft genug schlecht oder gar nicht bezahlt erledigt werden.

Frau Pöllmanns Arbeit in Goddelau ist für bescheidenes, kompetentes, nachhaltiges und hartnäckiges Tun ein leuchtendes Vorbild. Sie hat das Museum im Geburtshaus Georg Büchners Ende der 90er Jahre mit aufgebaut und betreut es seitdem als ehrenamtliche Leiterin. In Zusammenarbeit mit dem Förderverein Büchnerhaus und der Stadt Riedstadt hat sie unzählige Schulklassen und interessierte Personen aus ganz Deutschland durch das Museum geführt.

 

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Der Text der Urkunde lautet:

Den Hessischen Literaturlöwen verleiht der Verein der Freunde und Förderer des Literaturland Hessen e. V. im Jahr 2014

Rotraud Pöllmann

für ihre engagierte und kenntnisreiche ehrenamtliche Arbeit als Leiterin des Büchnerhauses in Riedstadt Goddelau. Ihr geduldiges und ideenreiches Engagement  macht das Geburtshaus von Georg Büchner zu einer einmaligen Erinnerungsstätte für Leben und Werk des Dichters und Revolutionärs.

Dem ist nichts hinzuzufügen – außer vielleicht, dass sich 2014 auch eine etwas weniger demonstrativ maskuline Wappenfigur hätte finden lassen.

 

von Peter Brunner

„… davon verstehen Frauenzimmer nichts!”

Am 11. April 1825 wurde Ferdinand Lassalle in Breslau geboren.

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Lassalle 1860. Foto von Philipp Graff (wikipedia)

 

Im Programm der „Fabelhaften Büchnerbande“ zitieren wir:

Ludwig Büchner spielte eine wichtige Rolle bei der Auseinandersetzung um die Ausrichtung der deutschen Arbeiterbewegung. Er wollte mit einem breiten Volksbündnis die Gesellschaft verändern, die Sozialdemokraten wollten alleine die Arbeiter organisieren. In seiner Broschüre „Meine Begegnung mit Ferdinand Lasssalle” schreibt Ludwig 1894 im Rückblick:

„Nichts könne der Reaktion erwünschter sein und uns mehr schaden, als eine Entzweiung von Bürgertum und Arbeiterstand im gegenwärtigen Augenblick. … Auch solle man sich nicht durch die Schlagworte „Sozialismus“ oder „Kommunismus“ ins Bockshorn jagen lassen, da diese Worte an und für sich gar keinen gefährlichen Sinn haben. Jeder Staat oder jede staatliche Gemeinschaft sei mehr oder weniger sozialistisch und kommunistisch, und es komme dabei nur auf das mehr oder weniger an. … In meinem Tagebuch vom fünfzehnten Mai 1863 finde ich folgende Aufzeichnung: „ … In der Unterhaltung selbst fiel es auf, dass Lassalle, der doch ein Apostel des „Volks“ sein wollte, sich sehr verächtlich über den „Mob“ äußerte und seinem Widerwillen darüber, dass er auf seinen Agitationsreisen mit jedem Arbeiter die schmutzige oder Schweißhand drücken müsse, sehr energischen Ausdruck gab. … Obgleich vollkommener Weltmann, ließ er sich doch hinreißen, die Regeln der Höflichkeit gegen Damen außer acht zu setzen, indem er meiner Schwester Luise, der Verfasserin von „Die Frauen und ihr Beruf“ , welche sich einmal in die Diskussion gemischt hatte, zurief: „davon verstehen Frauenzimmer nichts – ” und die vollständig eingeschüchterte Rednerin damit für den übrigen Teil des Tages mundtot machte. … ”

Lassalles Werke sind online hier zugänglich, sein „ehernes Lohngesetz“ ist längst wiederlegt. Und mindestens ein Fußnote ist es wert, dass es ein „Netzwerk der Korporierten in der SPD“  unter seinem Namen gibt, das sich u.a. so äußert: „Lassalles Herkunft ist bürgerliches Milieu, ein klares Bekenntnis dazu täte unserer Partei gut.“  Gemessen an Ludwig Büchners Erfahrungen bei der Bemühung um die Einheit der Opposition gegen Lassalle eine späte Einsicht.

 

von Peter Brunner

Von der Realität eingeholt – früheste Handschrift Georg Büchners aufgefunden

EDIT 2.4.2014:

Ich gestehe: das Tapetenrelikt gibt es nicht. Der Fund muss ein Aprilscherz bleiben und Gedanken über Tapetenschmierereien Büchners eine Imagination – wenn auch nicht die unwahrscheinlichste unter denen, die wir inzwischen zu ertragen hatten …

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Giovanni Francesco Caroto: Knabe mit Zeichnung 
1. Hälfte 16. Jhd., Museum Castelvecchio, Verona
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In der in Darmstadt kürzlich zu Ende gegangenen Ausstellung aus Anlass von Georg Büchners 200. Geburtstag war von Ausstellungsmacher Ralf Beil eine Anmutung des Familienzimmers der Büchners installiert worden, in dem zwar nicht die Familie vorkam, aber als Memento eine eigens angefertigte Tapete angebracht war. Beil hatte sie mit zwei ganz unterschiedlichen Motiven, dem „Blutschwamm” aus einer frühen medizinischen Veröffentlichung des Vaters Ernst Büchner, und der Reproduktion der Locke Georg Büchners, die auch im Original gezeigt wurde, bedrucken lassen.

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Die imaginierte Tapete aus der Ausstellung 

Tatsächlich hat Georg Büchner in der Darmstädter Grafenstrasse, die das Ausstellungszimmer imaginieren sollte, gelebt. 

Das es allerdings eine Original-Tapete, und sei es auch nur ein unscheinbarer Rest, aus Büchner’schen Häusern geben könnte, hatte niemand zu träumen gewagt. Schon lange ist bekannt, dass die Büchners in Darmstadt aus der bescheidenen Dienstwohnung im Hospital schon recht bald an den Marktplatz, von dort in die obere Baustraße (heute Elisabethenstraße), und erst dann ins eigene Haus in der Grafenstraße gezogen sind. Zu dem Haus in der Oberen Baustraße konnte ich vor einiger Zeit neue und bis dahin unbekannte Details ermitteln, weil mich eine Nachfahrin des Vermieters der Büchners, Ernst Emil Hoffmann, auf einige Hinterlassenschaften ihrer Familie aufmerksam machte. Dort sind zwei von Georgs Geschwistern, Luise (1821) und Ludwig (1824), geboren, Georg Büchner war zu der Zeit also zwischen sieben und zehn Jahre alt. Zu den mir überlassenen Materialien gehört ein lithographiertes Familienbild der Hoffmanns und eine mehrbändige genealogische Ausarbeitung, auf deren allerletzter Seite ich das lang gesuchte Hoffmann’sche Haus abgebildet fand:

 

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Ludwigsplatz, Haus Böttinger um 1935

Das gleiche Haus auf einer Photographie aus den 1930er Jahren
als „Haus Böttiger“. (Zur Orientierung: das Haus stand dort,
wo sich heute das „C&A”-Kaufhaus befindet) 
mit freundlicher Erlaubnis des Stadtarchiv Darmstadt 

Bei eben diesen Unterlagen fand sich auch ein unscheinbarer Abriss einer beigefarbenen  Papiertapete, dünn mit ungelenker Hand beschriftet. Bei einem weiteren Besuch bei den Hoffmann’schen Nachfahren bin ich auf dieses Blatt, das ich kaum beachtet hatte, mit der Frage angesprochen worden, warum ich denn den Namenszug Georg Büchners nicht in die Ausstellung gegeben hätte. Die Familie ist nämlich steif und fest davon überzeugt, dass das unscheinbare Stück Papier von der Familie von der Zimmerwand abgelöst und aufbewahrt wurde. In ihrer Überlieferung heißt das Blatt „der Georg-Krakel“ und soll nichts weniger sein als die allererste schriftliche Hinterlassenschaft des Dichters, eine ungelenke Schreibübung, unerlaubt auf die Tapete gekritzelt. Ich darf das Blatt mit freundlicher Genehmigung hier erstmals zeigen:

 

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Vielleicht die früheste schriftliche Hinterlassenschaft Georg Büchners?

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Zum Vergleich
Georg Büchner: eigenhändige Unterschrift des Schülers
hier in „französischer” Schreibschrift, der Text in Deutscher Schrift 

Klassik-Stiftung Weimar 

 

In der Tat ist dem geübten Leser alter deutscher Handschriften möglich, die Auf- und Abs der Deutschen Schrift zum Namen Georg in den gut sichtbaren Zeichen zu erkennen. Die Tapete kann gut beim Auszug der Büchners beseitigt worden sein, Hoffmann, der mit Georg Büchners Stief-Großmutter, der dritten Frau des Vaters von Ernst Büchner, verwandt war und den Kindern gegenüber vielleicht wie ein Onkel auftrat, mag sie aus Sentimentalität aufbewahrt haben.

In den nächsten Wochen werde ich versuchen, das Alter und womöglich die Handschriftzuordnung verifizieren zu lassen. Natürlich berichte ich hier.

von Peter Brunner