Peter Brunners Buechnerblog

Monat: Juli 2013 (Seite 1 von 2)

Bilder einer Ausstellung. Oder: „Meine Zukunft ist so problematisch, daß sie mich selbst zu interessieren anfängt”

In der BüchnerBox hat Dr. Ralf Beil, der Kurator der bevorstehenden Darmstädter Büchner-Ausstellung  Georg Büchner – Revolutionär mit Feder und Skalpell  am Samstag bei brütender Hitze anhand eines Modells vorgestellt, was die Besucher von Oktober bis Februar im eigens ausgebauten künftigen Kleinen Saal des Darmstädter Kongresszentrums „Darmstadtium“ zu erwarten haben.

 

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Ralf Beil in der BüchnerBox

Zu Beginn der Ausstellungsplanung war beabsichtigt, im Herbst mit Sanierungsarbeiten auf der Darmstädter Mathildenhöhe, Beils Heimathaus, zu beginnen, so dass die Räume für eine Ausstellung nicht zur Verfügung stehen würden. Zwei historische Gebäude-Alternativen wurden verworfen: das „Pädagog“, immerhin das neu aufgebaute Gebäude von Georg Büchners Darmstädter Schule, erschien zu klein, zu verwinkelt und ist darüber hinaus den benachbarten Schulen zur Verfügung gestellt, und das hessische Landesmuseum, seit Jahren wegen Umbau geschlossen und laut damaligem Plan ganz passend im Herbst 2013 endlich wieder eröffnet. Da  das Landesmuseum aber beabsichtigte, seine Wiedereröffnung, die inzwischen übrigens ohnehin (natürlich?) nicht zum geplanten Termin Herbst 2013 klappen wird, als Feier des Museums „an sich“ zu begehen und kein Interesse daran hatte, sich zugunsten des „Revolutionärs mit Feder und Skalpell“, geschweige denn seiner Familie, zurückzunehmen, fiel auch diese Alternative aus. Mit dem Verzicht auf das Landesmuseum wurde auf eine Präsentation sehr besonderer Art verzichtet: in den Räumen des wunderbaren Universalmuseums hätte Georg Büchners Leben und Werk, ergänzt um die Dokumentation der Forschung und Publikation seiner Geschwister, auf eine noch nie dagewesene Art gezeigt werden können.

Im Kongresszentrum Darmstadtium dagegen bot sich die Gelegenheit, einen bisher brach liegenden Teil des Gebäudes zu aktivieren. Seit einigen Wochen wird jetzt auf etwa 800 qm in einen dafür kaum geeigneten Raum mit immensem Aufwand, Beil sprach von dadurch verursachten Kosten von ca. 700.000 €,  ein Ausstellungsprovisorium eingebaut.

 

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Modell der Ausstellung im Darmstadtium, rechts Ausblick auf Straßburg, links davon unten die Druckerpresse zum Landboten, dann Mitte unten ein „Lenz-Tunnel“, dahinter „Danton“ mit der Guillotine, links nach oben Naturwissenschaft und Woyzeck, ganz oben der Einblick in das rekonstruierte Sterbezimmer.

 

Beil erläuterte die geplanten Stationen. Offenbar greift er zu Beginn die Installation im Goddelauer Büchner-Haus auf: Gemeinsam an einem Tisch“. Ein rekonstruiertes Wohnzimmer, das eine ganz besondere Tapete haben wird, soll für die Darmstädter Jahre stehen. Dann folgt ein Naturalienkabinett als Imagination der großherzoglichen Sammlung, die Büchner kannte und öfter besuchte, auf einer darüber gelegten Ebene Straßburg, so präsentiert, dass die Vorstellung vom „Blick in die Weite“, wie ihn Büchner im wörtlichen und im übertragenen Sinn dort erlebt hat,  wahrgenommen werden kann. Darauf folgt die Landboten-Zeit mit einer Druckerpresse im Mittelpunkt. Der weitere Weg führt dann über den „Danton“ mit einer alles dominierenden Guillotine (nicht die mit dem Schinderhannes-Beil aus Mainz …) in einen „Lenz-Tunnel“, der die Geschichte vom Aufenthalt im Steintal erzählen wird, wieder nach oben zu der zweiten Straßburger Zeit mit einem „Leonce&Lena-Kabinett”, zu einer naturwissenschaftlichen Installation über die Barben-Forschung, der Arbeit am „Woyzeck” bis hin zur Rekonstruktion des Sterbezimmers in Zürich. Auf dem Rückweg ins Foyer wird dann noch die Rezeption Büchners präsentiert werden. 

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Das gleiche Modell gedreht, hinten ohne die obere Ebene, Draufsicht auf das Darmstädter Wohnzimmer 

 

Wir bleiben gespannt.

 

 

Sehet, es kroch so nackt und weich in die Welt wie ihr

Der Verfasser ist royalistischer Sympathien ähnlich unverdächtig wie die Familie, die Gegenstand dieses Blogs ist.

 „ … der Mensch … heißt: unverletzlich, heilig, souverän, königliche Hoheit. Aber tretet zu dem Menschenkinde und blickt durch seinen Fürstenmantel. Es ißt, wenn es hungert, und schläft, wenn sein Auge dunkel wird. Sehet, es kroch so nackt und weich in die Welt wie ihr und wird so hart und steif hinausgetragen wie ihr…” (Der Hessische Landbote) 

Dennoch konnte ich nicht vermeiden, die minütlich aktuellen Niederkunfts-Meldungen der britischen Battenberg-Nachfahren wahrzunehmen. Berufenere als ich haben geschildert, wie Alexander von Hessen und seine „unstandesgemäße“ Gattin von Hauke zu dem damals längst ausgestorbenen Titel derer von Battenberg kamen – hier die Details in wikipedia.

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Anton Büchner (1887 – 1985) um 1910

Der schließlich hervorgebrachte Sprössling teilt allerdings ein Schicksal mit einem wesentlich unbekannteren Büchner-Nachfahren: Anton Büchner, Wilhelm Büchners Enkel, Georg Büchners Großneffe, der erste Biograph der Familie Büchner, war vom Büchner-Fieber so unheilbar befallen, dass sein 1920 geborener Sohn die Vornamen Georg Alexander Wilhelm Ludwig, also sämtliche Vornamen seiner Urgroßonkel, trug.

 

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Georg Alexander Wilhelm Ludwig Büchner
mit seiner Stiefmutter Maria, geb. Hoesch, 1948 

 

Der jüngste Windsor-Battenberg heißt immerhin George Alexander Louis, und den fehlende Vornamen Wilhelm trägt sein Vater William – das klingt doch verdächtig nach republikanischen Sympathien im britischen Königshaus?!

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Eine Zahl als Antwort auf die wichtigsten Fragen des Lebens ist ja keine wirklich prickelnde Neuigkeit. In der fast unendlichen Büchner-Biennale kommt das allerdings zum ersten Mal vor und soll erklärt werden.

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Georg Büchners Frauen
19,90 € 272 Seiten
ISBN 978-3-423-28018-1

21 Frauen findet Jan-Christoph Hauschild nach umfassender Recherche in Georg Büchners Leben und Werk – 1o reale und 10 erfundene. Eine elfte, Friederike Brion, war zwar eine reale Person, hat aber Georgs Leben nur noch als Legende gestreift. Die Sessenheimer Pfarrerstochter, die Goethe vorübergehend liebte und nach der sich Lenz verzehrte, und die damals aktuelle Begierde nach ihren Lebens- und Liebesumständen ist nach Hauschilds Ansicht verantwortlich für den einzigen Prosatext aus Büchners Hand, den Lenz.

Hauschild schreibt:

„Die Elsass-Episode im Leben des Dichters bot Büchner Stoff für eine faktengestützte Erzählung, die zugleich Fallstudie eines künstlerischen, psychischen und damit auch sozialen Grenzgängers sein sollte. Geplant war, den Bogen von Lenz‘ Ankunft in Straßburg 1771 und seiner Tätigkeit  als Schriftführer bei der dortigen literarischen Gesellschaft bis zur Verbringung aus dem Elsaß im Februar 1778 zu spannen. Obgleich die Dreiecksgeschichte Goethe -Friederike – Lenz die Gefahr einer Schlüssel- oder Klatschnovelle barg, hätte die Beziehung zu Friederike Brion im Mittelpunkt gestanden.

Der Text blieb unvollendet; überliefert sind nur die Ausarbeitungen zum Schluss, die teilweise nicht über das Entwurfsstadium hinausgelangt sind.“ (S. 165)

Hauschild ist ein souveräner Kenner, der nicht nur hier mit klaren Worten Position bezieht. So wird die – zu Recht – als Pretiose im Schatzkästlein Deutscher Literatur gepriesene „Novelle” Lenz auf den Boden der Tatsachen gestellt.

Andere Veröffentlichungen der letzten Monate lassen vermuten, die wichtigste Frage zu Georg Büchners Leben und Werk sei die nach Anzahl und Frequenz seiner Geschlechtsverkehre. Hauschild weicht dem nicht aus. Im Vorwort nimmt er sich einige der Sexual-Phantasten vor, widerlegt sie knapp, aber deutlich, um zu schließen:

 

Auch die detailversessene biografische Forschung hat nur bestätigen können, was schon seit 1837 bekannt war: Dass sich nämlich Büchner im ersten Jahr seines Studiums in Straßburg „mit der Tochter des Pfarrers an St. Wilhelm, Johann Jakob Jaeglé, verlobte”, welche „durch Geist und Herz in jeder Beziehung seiner würdig war“. So steht es im Nachruf, den ihm sein Freund Wilhelm Schulz gewidmet hat. Wilhelmine Jaeglé also war die Frau an seiner Seite. Und dabei sollte, wer nicht selbst an einer sexuellen Obsession leidet, es belassen. Spannender und nutzbringender ist die Frage nach Georg Büchners Frauenbild, wie es uns in seinen Dichtungen entgegentritt. (S. 14) 

Und diese Aufgabe wird gründlich angegangen. Jedes Kapitel widmet sich, mit einer Ausnahme bei den „Danton-Frauen” Adelaide und Rosalie, denen ein gemeinsames Kapitel gilt – jeweils einer Frau, ihrem Leben bzw. ihrer Rolle. Hauschilds rigoroses Programm, in Abgrenzug zu anderen Büchner-Biographen alleine die Fakten sprechen zu lassen, macht die Frauen-Skizzen allerdings manchmal bedauernswert knapp. Caroline Sartorius/Schulz beispielsweise, 1801 in Darmstadt geboren, Begleiterin und Pflegerin in Büchners letzten Stunden, mutige Befreierin ihres Mannes Wilhelm aus der Haft in Babenhausen und dessen tapfere Mitexilanten in Straßburg und Zürich, kommt – deshalb? – leider sehr kurz.

Seine Erkenntnisse über Minna Jaeglé, der zu Recht mit 60 Seiten das umfangreichste Kapitel gewidmet ist, trug Hauschild bereits im November in Darmstadt vor, ich habe hier darüber berichtet.

Hauschilds Vorwort endet:

 „Wie sich aber Dichtung und Wirklichkeit zueinander verhalten, ist in diesem Umfang bisher noch nicht untersucht worden.“

Nach gerade einmal 255 Seiten und einem überschaubaren Anhang aus Literaturhinweisen lässt Hauschild selbst belesene Büchner-Kenner nicht ohne neue Erkenntnis und legt gleichzeitig ein Buch vor, dass sich von ganz neuer Perspektive aus durchaus auch als „EinsteigerInnenlektüre” eignet – ließe sich das doch über mehr Büchner-Bücher sagen!

 

Am Donnerstag, dem 18. Juli,

stellt er das Buch, eingeladen von

der Luise-Büchner-Gesellschaft,

im Rahmen von Büchner200 um 19 Uhr

in der BüchnerBox

am Darmstädter Hauptbahnhof vor.

Hier gibts

weitere Informationen und Tickets.

 

Andreas Müller hat das Buch hier am 21. Juli für das Darmstädter Echo besprochen.

Büchner200 in Darmstadt

Nachdem ich ja schon Berichte von Veranstaltungen hier veröffentlicht habe, jetzt endlich für diejenigen, die bisher noch nicht nach Darmstadt kommen konnten, wenigstens ein paar Bilder – ein Ausflug lohnt sich!

Ausführliche Informationen über Träger, Unterstützer, Intention und Programm ständig aktuell unter www.Buechner200.de 

 

Der Darmstädter Bahnhof und sein Vorplatz stehen im Sommer 2013 ganz im Zeichen Georg Büchners.

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Die Überschrift über dem Bahnhofs-Hauptportal 

 

BüchnerBox

Die BüchnerBox ist eine Weiterentwicklung des 2012 unter Leitung von Prof. Kerstin Schultz (liquid architekten) vom Fachbereich Architektur für das Festival Cage100 entworfenen Performance-Hauses StageCage, das gerade den Art Directors Club Nachwuchswettbewerb in der Kategorie „Räumliche Inszenierung“ gewonnen hat. Waren im vergangenen Jahr Akustik und Musik maßgebend für das gestalterische Konzept, steht in diesem Jahr alles im Zeichen der Literatur: Raumhohe Bücherregale zieren die Wände, Textzitate Büchners strukturieren den Ort und laden zur Spurensuche, zum Stöbern und Lesen in Büchners Werk und in Kontextliteratur sowie zum Verweilen, Nachdenken, Diskutieren und Träumen ein.

 

Öffnungszeiten

Samstag, 29. Juni, bis Samstag, 31. August 2013
Montag bis Freitag zwischen 12 und 15 Uhr und zu Veranstaltungen

 

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Die Box auf dem Darmstädter Bahnhofsvorplatz

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Veranstaltungstrubel

 

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Die Regalseite mit Werken der BüchnerpreisträgerInnen und einer Tauschbörse

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Blick in die unbestuhlte Box (bei Veranstaltungen stehen ca. 60 Sitzplätze auf Holzbänken mit und ohne Rückenlehne zur Verfügung)

 

Die Box steckt voller wunderbarere Gestaltungsideen – von Sitzkissen mit Büchnerzitaten über eine Ausstellung „gebrauchter“ Büchner-Reclam-Texte, einer Hörstation als „Erbsentelefon“, der großen Marburger Werkausgabe mit Imaginationen der zahlreichen Werke, die Büchner zitierte, der Präsentation von typographischen und grafischen Werken, die in der Auseinandsersetzung mit Büchers Werk entstanden, über eine ganze Wand voller Werke der Büchnerpreisträger bis zu einer Büchertauschbörse bietet selbst die „unbespielte“ Box stundenlange Beschäftigung mit dem großen Autor und seinem Werk. Und selbst im Bücherregal ist noch ein typographisches Büchner-Rätsel versteckt!

Königreich Popo

Neben der BüchnerBox wird auch die Festival-Bar – das im vergangenen Jahr von der Centralstation entdeckte und liebevoll gehegte Kleinod mitten im Darmstädter Bahnhofsviertel – zu neuem Leben erweckt. Avancierte der Pavillon Cage&Cola damals in kürzester Zeit zum wahren Geheimtipp, macht sich in diesem Jahr das nach der Heimat des Prinzen Leonce aus dem Büchnerschen Lustspiel „Leonce und Lena“ benannte „Königreich Popo“ daran, ein ebenso attraktiver Ort für FeierabendKultur zu werden. Inspiriert durch die Texte und das Leben Georg Büchners in Zeiten des Um- und Aufbruchs entwickelten StudentInnen des Fachbereichs Gestaltung der Darmstädter Hochschule einen „wilden“ Garten. Die Bepflanzung gleicht einer Ansammlung von Büchner-Zitaten. Pflanzen- und Materialcollagen, entwickelt aus Naturbeschreibungen und Szenenangaben in Büchners Werken: „Stein und Moos“, „eine Gebirgslandschaft“, „ein Tanzboden“, „die Erbsen“, „ein Kornfeld“, „der wilde Wein“, „Rosenbusch und Feigenbaum“, „die Laternen“.

 

Öffnungszeiten

Samstag, 29. Juni, bis Samstag, 31. August 2013
Bei schönem Wetter: Montag bis Samstag ab 17 Uhr und zu Veranstaltungen in der BüchnerBox.

 

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Der Eingang zum Königreich Popo 

 

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Eine Installation zum „Sich-auf-den Kopf-schauen“

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Abendstimmung in Poponien

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Im großen Beet vor dem Bahnhof stecken keine botanischen Pflanzenbeschreibungen, sondern ausgewählte Büchner-Zitate. 

Buchmarkt

Nach ihrem Vortrag in der Büchnerbox. über den ich unten berichtete, hat mir Frau Martin gerade mitgeteilt, wo und wie ihr Aufsatz über die Lieder in Georg Büchners Werk erscheinen wird (und, um das dritte „W“ zu ergänzen, wann: „voraussichtlich September/Oktober 2013″) :

 

Ariane Martin / Bodo Morawe

Dichter der Immanenz

Vier Studien zu Georg Büchner
Bielefeld, Aisthesis, 2013,

ISBN 978-3-89528-950-7,

ca. 190 Seiten, kart. EUR 28,00

Inhalt:

  • Vorwort
  • Ariane Martin
    „Unzucht mit den Würmern“. Sexualität und Tod bei Georg Büchner
  • Bodo Morawe
    „Die Revolution ist eine und dieselbe“. Geschichtsschreibung der Gegenwart und hybride Poetik in Danton’s Tod 
  • Ariane Martin
    Geschlecht, Gewalt, soziale Frage. Die Volkslieder in Büchners Dramen
  • Bodo Morawe
    Philosophische Autopsie. Büchners Spinoza
  • Personenregister

 

Ich würde mich sehr freuen, wenn wir das in Darmstadt vorstellen könnten.

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