(Georg Büchner im Brief an die Eltern, Straßburg 2.11. 1835)

Zum zweiten Male, diesmal öffentlich, hat das Institut Mathildenhöhe als Veranstalter der künftigen Georg-Büchner-Ausstellung eingeladen, um den Fund eines Porträts zu diskutieren, das Georg Büchner zeigen soll.

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Georg Büchner im „Polen-Rock“ – Undatierte Bleistiftzeichnung von August Hoffmann. Reproduktion eines Fotoabzugs von 1875 (Schweizer Privatbesitz) aus der Sammlung Reinhard Pabst (www.literaturdetektiv.de), Bad Camberg. Die Original-Zeichnung wurde beim Bombardement Darmstadts 1944  zerstört.
R. Pabst überließ mir freundlicherweise dieses Foto vom Hoffmann-Bild, das 1875 von Ludwig Büchner bei Georgs Umbettung in Zürich an ausgewählte Gäste verteilt wurde. Es ist ein weiterer Beleg dafür, dass es einen halbwegs wiedererkennbaren Georg zeigt.
Das Rarissimum wurde zum ersten Mal in der „Literaturland Hessen“-Ausstellung: „Briefe an Hund und Kater und andere Handschriften Georg Büchners“ (7. bis 22. Juli 2005) in der Kreissparkasse Groß-Gerau in Riedstadt-Goddelau öffentlich gezeigt, einem Gemeinschaftsprojekt von Hessischer Rundfunk (hr), Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst, der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen sowie der Sparkassen-Stiftung Groß-Gerau. Erstdruck in der FAZ vom 9. Juli 2005, S. 35.
Angefertigt hat es der Darmstädter Fotograf  Wilhelm Rudolph. 

 

 

Bereits Nachmittags hatten sich die Protagonisten, Frau Dr. Mechthid Haas und die  Herren Prof. Dr. Borgards, Prof. Dr. Dedner, Dr. Beil und Prof. Dr. Oesterle mit Reinhard Pabst, in diesem Kreis als Kritiker allein auf weiter Flur, in geschlossener Runde zur Vorab-Erörterung getroffen.

Der in bescheidener Zahl anwesenden Öffentlichkeit sollte dann in breiter Präsentation die Gelegenheit geboten werden, sich einen eigenen Eindruck zu machen. Leider verlief dieser Teil unkoordiniert und konnte wohl nur denjenigen nutzen, die sich bereits in Tiefen und Untiefen der bisherigen Diskussion eingelesen hatten. Der einsame Laie jedenfalls, dessen gelegentliche Frage von mehr Interesse als von Kenntnis zeugten, wird die Veranstaltung wohl ratloser verlassen als betreten haben.

Vorbereitet war eine Präsentation von Bildern, die Prof. Dedner in einem Einleitungsvortrag präsentieren wollte. Schon nach wenigen Sätzen kam es aber zu Einwürfen, Fragen und schließlich – mangels konsequent geführter Diskussion – einem Ko-Referat von Reinhard Pabst. Pabst, der die Rolle als einzig anwesender kompetenter Kritiker durchaus willig annahm, glänzte mit profunder Kenntnis scheinbar unwichtigster Details; aber auch die Befürworter der These, hier sei Georg Büchner neu zu sehen, haben inzwischen ihre Argumentationen vertieft.  In der Diskussion um den Notenjüngling, Pabst nennt ihn „Pseudo-Schorsch“, sind ja Vergleiche aus dem Kino üblich geworden.  Pabst erinnerte in der Diskussion vorübergehend an Henry Fondas Einsatz in „Die 12 Geschworenen“, wo ein einzelner Zweifler in dramatischer Auseinandersetzung schließlich die anderen elf auf seine Seite holt und das Todesurteil verhindert.

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August Hoffmann: Der Jüngling mit dem Notenblatt. 1833 

Pabst nannte zahlreiche Bedenken aus der Diskussion der vergangenen Wochen, darunter:

  • das neu aufgefundene Blatt trägt eine Kugelschreiber-Beschriftung, höchst wahrscheinlich durch den Pfarrer und Familienforscher Clotz, wohl aus den 50er Jahren, mit dem Wortlaut „August Hofmann“ – obwohl der Maler unbestritten und sicher auch Clotz wohl vertraut „Hoffmann“ hieß. Hat er es als Selbstportrait oder gar als Portät eines uns unbekannten „Hofmann“ kennzeichnen wollen?
  • durch das Notenblatt mit dem Zampa-Motiv liegen andere Zuschreibungen nahe: es könnte einer der damaligen Bühnendarsteller sein oder auch August Hoffmanns Bruder, der sich 1833 nach einer neuen Beschäftigung als Schauspieler umsah. Ihm  könnte ein Porträt als Bewerbungsanlage gedient haben;
  • die Zuordnung eines derart plumpen Textes (offenbar auch noch in einer plumpen Übersetzung aus dem Georg Büchner ja ganz geläufigen Französisch) und einer musikalisch zu recht längst vergessenen Melodie findet an keiner Stelle des bekannten Lebens und Werks des Dichters einen Anknüpfungspunkt. Dagegen lassen sich zahlreiche Indizien dafür finden, dass das eben gerade nicht seiner Haltung und Vorliebe entsprach. So schreibt er der Braut: „Lernst Du bis Ostern die Volkslieder singen, wenn’s Dich nicht angreift? Man hört hier keine Stimme; das Volk singt nicht, und Du weißt, wie ich die Frauenzimmer lieb habe, die in einer Soiree oder einem Konzerte einige Töne totschreien oder winseln“

 

 

Schließlich konnten mit Hilfe der projizierten Abbildungen einige Fragen vertieft angegangen werden: die der Datierung des Bildes (1833 oder 1839?), die Aufenthalte Hoffmanns in Darmstadt und die der „Porträt-Kompetenz“ des Malers Hoffmann.

Unbestritten ist, dass das Bild von August Hoffmann gemalt wurde, und auch der Datierung auf 1833 widersprach niemand. Nach in Augenscheinnahme zahlreicher weiterer Datierungen Hoffmanns auf anderen Bildern, die seine 9 deutlich von seiner 3 unterscheiden lassen, darf das als halbwegs gesichert gelten. Auch Hoffmanns Aufenthalt in Darmstadt, mindestens von Mitte bis Ende 1833, ist wohl nicht mehr umstritten. Dr. Mechthild Haas konnte versichern, dass das Papier und der Zustand des Bildes an der Herkunft aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts keinen Zweifel zulassen; eine Datierung auf ein Jahrzehnt oder noch genauer ist mit ihren Methoden allerdings nicht machbar. Ein Detail, das der Wahrheitsfindung deutlich dient, blieb ein wenig unterschätzt: das unbestrittene Georg-Büchner-Porträt ist ja nur mit „AH“ signiert und ließ deshalb letzte Zweifel an der Urheberschaft zu; aber jetzt ist diese Signatur August Hoffmanns durch viele weitere Belege gesichert.

Aufschlussreich erschienen dann die gezeigten weiteren Portraits aus Hoffmanns Hand, zwei en face gezeichnete Ansichten seiner Braut und ein aquarellierter männlicher Kopf von rechts. Dieser soll ein Selbstportrait des Malers sein. Was in der Diskussion um das unbestrittene Georg-Büchner-Bild, vielleicht aus Gründen der Pietät, selten ausgesprochen wurde, lässt sich jedenfalls jetzt nicht mehr bestreiten: Hoffmann war ein sehr mäßiger Portraitist. Die beidem Mädchenköpfe sind unübersehbar mehr aus standardisierten Versatzstücken zusammengesetzt als der Natur nach gemalt. Selbst die untere Gesichtspartie des „jungen Mann mit dem Notenblatt“ kann man in den beiden Mädchenbildern wiederfinden.

 

Bei diesem Stand der Erkenntnis muss jetzt jede, auch die kleinste, Spur, gründlich und vorurteilslos verfolgt werden. Ohne Frage muss der Nachlass von Pfarrer Clotz gesichtet werden, alle Bilder aller „Zampa“-Darsteller müssen auf Ähnlichkeit überprüft werden, gründliche Recherchen müssen weitere Werke und Informationen zu Leben und Aufenthalten August Hoffmanns suchen.

In den informellen Diskussionen der vergangenen Tage wurde wiederholt auf die Notwendigkeit einer kriminologischen Untersuchung der Abbildung hingewiesen. Es müsse doch möglich sein, mit modernen Methoden der Kriminalistik einen Gesichtsvergleich, unter anderem mit den unbestrittenen Fotografien der Eltern und Geschwister, die Identität des Abgebildeten zu prüfen (Reinhard Pabst kennt bereits nicht nur die Bezeichnung der Abteilung beim Bundeskriminalamt, sondern auch den Namen der kompetenten Mitarbeiter). Beim Stand der Dinge verbleibt hierfür allerdings wenig Hoffnung: so schlecht wie Hoffmann malte, kann jede Ähnlichkeit (oder Unnähnlichkeit) eben auch seiner Unfähigkeit geschuldet sein.

Insbesondere Professor Oesterle, der Finder des Bildes, hat sich weiteren gründlichen Recherchen im Gespräch zugeneigt und aufgeschlossen gezeigt. Ihm liegt offenbar an profunder, wissenschaftlich seriöser Recherche, auch wenn er verständlicherweise den Traum von der Authentizität nicht aufgibt. Professor Borgards dagegen verwahrte sich gegen Reinhard Pabst Forderung nach vollständiger Infragestellung: dann müsse man ja jederzeit jede Abbildung und jede Zuweisung aufs Neue prüfen. Wir dachten bisher, das genau sei die Aufgabe wissenschaftlicher Arbeit?!

Während sich in der öffentlichen Diskussion die Chance herauszukristallisieren schien, in der geplanten Ausstellung genau diese wissenschaftliche Recherche gründlich und als „work in progress“ zu präsentieren, widersprach Dr. Beil dem am Ende im informellen Gespräch deutlich: diesen Raum und diese Inszenierung lasse seine Vorstellung von der Ausstellung keinesfalls zu.

Es steht allerdings außer Frage, dass die Debatte um das Bild fortgesetzt werden muss und dass sie fortgesetzt werden wird – wenn nicht in der Ausstellung, dann an anderen Orten.

Für eine zuverlässige Zuordnung des Bildes ist es jedenfalls – und das war Konsens aller – noch viel zu früh.