Peter Brunners Buechnerblog

Monat: Juni 2012 (Seite 1 von 2)

Vom Bauerndorf zur Industriestadt – zwei tolle Projekttage mit SchülerInnen

Ich hatte diese Woche das große Vergnügen, zwei Projekttage der Pfungstädter Friedrich-Ebert-Schule zu begleiten. Angekündigt als Veranstaltung zur Industrialisierung im 19. Jahrhundert hatten sich die beiden LehrerInnen mit mir auf folgenden Ablauf verabredet, den wir ganz gut einhalten konnten:

 

– Dienstag 8:15 Begrüßung, Einführung

8:30 – 9:30 Powerpoint zu den „Geschwistern Büchner“ unter besonderer Berücksichtigung des Pfungstädter Industriellen Wilhelm B.

9:30 Abfahrt nach Darmstadt, auf dem Alten Friedhof Besuch der Büchner-Gräber, anschließend kleiner Gang durch die Darmstädter Innenstadt mit historischen Ansichten zur Illustration der Veränderungen.

 

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ok, nach Begeisterungsschreien sieht das jetzt nicht aus …

Mi., 8:15 Begrüßung, erstes Resumé

8:30 – 9:30 Industrialisierung in Pfungstadt, Wilhelm Büchners Blaufabrik, Veränderungen zwischen 1820 und 1900 – der Weg Pfungstadts vom Bauerndorf zur Stadt

10:00 Besuch der Büchnerbühne in Riedstadt-Erfelden, dort Gespräch mit dem Leiter, anschließend im Theater Büchnertexte und Erläuterungen „warum Büchner?“

12:30 Rückfahrt, Abschlußbesprechung

 

F. Weidigs Grab auf dem Alten Friedhof in Darmstadt 

Dazu haben sich insgesamt 8 SchülerInnen angemeldet, 6 aus dem Gymnasial-, 2 aus dem Realschulzweig.

Wir hatten einen riesigen und von uns allen ziemlich unerwarteten Spaß miteinander. Im Vorfeld hatte ich mir ausbedungen, im Falle unerträglichen Verhaltens aus Pietät auf den Friedhofsbesuch zu verzichten. Stattdessen konnten wir die kaum wieder von da runter kriegen: weder als Begräbnis-, noch als Gedächtnisstätte noch als Park hatten die SchülerInnen bis dahin einen Friedhof wahrgenommen; wir fanden neben den Büchnergräbern auch das von Ludwig Weidig, der im Gefängnis totgequält wurde (und dessen Grabinschrift noch jahrzehntelang versteckt wurde), daneben weitere Darmstädter Prominente usw. usf. Auch auf dem Darmstädter Marktplatz setzte sich das große Interesse und die Neugierde fort: auf dem Grab von Ludwig Büchner sind mehrere seiner Nachfahren zusammen bestattet, die in der Darmstädte Brandnacht 1944 zusammen ums Leben kamen. Der völlig veränderte Marktplatz und mein Bericht darüber, dass alle „Büchnerstätten“ in Darmstadt verloren sind, hat alle sehr beeindruckt.

Am nächsten Tag war kaum möglich, zusammenzufassen, so schnell sollte es weitergehen. Ich habe dann wieder eine gute Stunde lang mit Bildern und vor Ort in Wilhelms Villa erzählt, wie er gelebt und gearbeitet hat, was Industrialisierung für den kleinen südhessischen Ort bedeutete (Pfungstadt hieß damals scherzhaft „das südhessische Manchester“ und verdoppelte seine Einwohnerzahl) und schließlich den Bogen zu seinem früh verstorbenen genialen Bruder Georg geschlagen (Wilhelm platzierte den Grabstein Georgs im Park seiner Villa).

Christian Suhr, der Impressario der Büchnerbühne, hat dann eindrucksvoll sein eigenes Leben als Schauspieler und den Weg von der Metropole (er war u.a. am Berliner Ensemble) in die Provinz geschildert. Die Unmittelbarkeit von Person und Institution hat uns alle gepackt; und die anschließend vorgetragenen Texte forderten höchste Aufmerksamkeit. (Die Saint Just-Rede aus Dantons Tod über die Notwendigkeit, das Morden fortzusetzen, fordert auch von kenntnisreichem Publikum einiges!).

Das Schlussgespräch hatte zwei Themen: begeisterte Zustimmung zur Veranstaltung und die Frage, ob und wie sich das vertiefen und fortsetzen ließe, und die Überlegung, ob und wie sich so was wie ein Ferienworkshop mit ähnlichem Inhalt veranstalten lässt. Tenor dazu: es wird im Vorfeld niemand glauben, wie spannend, anschaulich, lehrreich, abwechslungsreich und unterhaltsam der Umgang mit Geschichte ist. Rätselraten darüber, ob und wie sich das vorab vermitteln lässt. Vorschlag, eine Jahreseinheit „WPU“-Unterricht dazu anzubieten.

Mein Fazit: selbstverständlich sind junge Menschen höchst interessiert an den Umständen, die sie und ihre Umgebung geformt haben. Wahrscheinlich ist aber die Form, die ich als Amateur und Entertainer wählen konnte, nämlich assoziativ zu berichten, Exkurse zuzulassen und zu ermutigen, Abwegiges gemeinsam zu hinterfragen und aufzuklären, im lehrplangeknechteten Schulunterricht nicht möglich. Selbstverständlich waren das alles nur Anstösse zum Weiterlernen, keine abgeschlossenen Unterrichtseinheiten. Auch die Kür, mit „freiwilligen“ SchülerInnen zu arbeiten, ist natürlich ein Sonderfall. Allerdings ist unser Ansatz, auf diese Art Lokalgeschichte in den Schulunterricht „einzuspeisen“, eine Möglichkeit, Interesse zu wecken und Verständnis zu gewinnen, die sich wohl kaum überschätzen lässt.

 Ich hoffe sehr, dass  sich ein Weg findet, diese Schülerprojekttage hier bei uns zu einem Lernprojekt für alle Beteiligten zu machen.

Sandor Petöfi – der Georg Büchner Ungarns?!

Noch einmal zurück zur Weimar-Exkursion der Luise Büchner-Gesellschaft :

Beim Spaziergang durch den Park an der Ilm kamen wir am Petöfi-Denkmal vorbei,

und Agnes Schmidt, die Vorsitzende, hatte sich darauf mit einem Gedicht vorbereitet.  Mit einiger Berechtigung hat sie Petöfi den Büchner Ungarns genannt,

und sie hat mir erlaubt, das kleine Video von ihrem schönen Vortrag zu veröffentlichen.

Hier habe ich eine andere Übersetzung des Gedichtes „Ende September“ online gefunden.

29. 6. 2012 – Christian Wirmer erzählt Georg Büchners „Lenz” als einen neuen Text

Glücklicherweise ist es gelungen, Christian Wirmer für eine Veranstaltung des Kultursommer Südhessen 2012 zu gewinnen. Seine Interpretation von Georg Büchners Lenz ist unbedingt sehens- und hörenswert.

Es steht noch eine Anzahl von Karten zur Verfügung, ab dem 21. 6. im Vorverkauf beim Ticketservice Pfungstadt und – vor Ort – im Restaurant Strud´l Stub´n in der Villa Büchner.

Ich zitiere mich ungern selbst, aber meiner Besprechung von Christian Wirmers unvergesslichem Auftritts im Darmstädter Literaturhaus habe ich nichts hinzuzufügen:

 Ganz frei, wie erzählt, wie gerade erlebt trug er den großartigen Text vor. Das bewies erneut, wie „aus der Zeit” Büchners Texte, die ja eigentlich inhaltlich ganz konkret angesiedelt und zuordenbar sind, dennoch wirken. In allen Wendungen der „Novelle” verzichtet Wirmer darauf, „dem Affen Zucker zu geben”. Weder er als Interpret noch der Text selbst haben es nötig, dass wir mit der Nase auf die richtige „Stelle” gestoßen werden. Lenz´ Sprung in den Brunnen, die Beschwörung am Bett des toten Kindes, der erste und der letzte Satz, alles bleibt im Duktus der Erzählung, und Wirmer füllt den Begriff Erzählung auf, wie es dem Publikum noch nie begegnet war. Da steht ein Mann und spricht, e r z ä h l t , und wir hören einen altbekannten Text plötzlich wie zum ersten Mal.

 

 (Christian Wirmer)

 

Büchners Lenz ist wirklich zum Erzählen geschrieben (neben dem „Landboten” ist es ja auch sein einziger Prosatext), und das führt Christian Wirmer unpathetisch vor. Es gibt ja in der Büchner-Familie die belegte Tradition des Erzählens, Luise Büchner schildert das im „Dichter”, Georg spielt gerne mit erzählenden Figuren, Luise Büchner selbst hat ihre Märchen zuerst Ludwig Büchners Kindern vorgelesen. Vielleicht müssen wir uns ab jetzt den Lenz als eine (wörtlich) E r z ä h l u n g Georg Büchners denken, als einen Text, von einem Dramatiker als Sprechtext geschrieben.

 Der Verdienst, diesen wichtigen Gedanken angeregt zu haben, gehört Christian Wirmer. Nach über einer Stunde konzentriertester Aufmerksamkeit lobte das Publikum mit anhaltendem Beifall.

Nicht alles Preußentum ist Schwarz-Weiß

Donnerstag, 21. Juni, 19.30 Uhr

Literaturhaus Darmstadt, Kasinostr. 3

Vortrag von Dr.Thomas Lange: Liebesbriefe als politische Provokation? –

Alexander Büchners Ausgabe der Korrespondenz

von Prinz Louis Ferdinand mit Pauline Wiesel

 

 

 

 

 

 

1865 erschien in Leipzig ein unzeitgemäßes Buch: „Briefe des Prinzen Louis Ferdinand von Preußen an Pauline Wiesel. Herausgegeben von Alexander Büchner.“ Neben den 1804/5 geschriebenen Briefen des Prinzen enthielt das Buch auch Briefe anderer Männer an die von vielen begehrte Pauline.

                                               

Pauline Wiesel und Prinz Louis Ferdinand, „der preussische Apoll“

(Die beiden gemeinfreien Bilder entnahm ich den oben zitierten Wikipedia-Einträgen) 

Nicht nur die sprachliche Direktheit der prinzlichen Korrespondenz wurde als skandalös empfunden, sondern auch die Tatsache, dass mit diesen Briefen an ein Preußen erinnert wurde, das sich sehr von dem Staat unterschied, der sich in den 60er Jahren anschickte, ein neues Deutsches Reich erobernd zu gründen. Entstehungsbedingungen und politischer Kontext dieser Briefausgabe durch den jüngsten Bruder von Georg Büchner weisen das Buch als gezielte politische Provokation aus.

 

Zu Luise Büchners 191. Geburtstag am 12. Juni 2012

 

 

„ … Was können uns jene jungen Wesen nutzen, die aus der Schule heraus nicht eilig genug ins Leben treten können, ohne Ahnung eines höheren Berufes, eines ernsteren Strebens? Aus ihren Reihen wird nur selten die tüchtige Mutter, das ächte Weib hervorgehen. Trunken vom Glanze der Ball- und Gesellschftssäle, schweben sie, wie im Traume, durch ihre Jugend; aber wohl selten birgt sich unter dem flatternden Gewand das starke Herz, die hochbeschwingte Seele, deren die Frau doch so sehr, so nothwendig bedarf. Wie lieblich rauschen einige Jahre dahin, leichtbeschuht und voller Glanz; aber die Scene muß sich ändern, das wirkliche Leben klopft an die Pforten. Wie Viele wird es dann zum Kampfe bereit finden? Wie viele sind dann seinen gerechten Ansprüchen gewachsen? Ob die Ehe oder das Loos der Unverheirateten diese heiteren Gestalten erwartet, nur diejenige Frau kann ihren höheren Lebenszweck erfüllen, welcher die Erziehung die Mittel dazu an die Hand gegeben. Aber diejenige Erziehung kann weder Ernst noch Tüchtigkeit verleihen, der es selber daran fehlt, und wer den Lebensweg der meisten weiblichen Naturen verfolgt, wird finden, daß ihnen mit richtiger Bildung Alles gegeben wäre, während ihnen ohne dieselbe Alles genommen ist. O, ihr rosigen Kinder, euren Frohsinn und eure Heiterkeit möchten wir um keinen Preis der Welt euch rauben, ihr sollt Rosen in´s Haar flechten und das weiße Gewand tragen, aber darunter die Rüstung der Pallas Athene.“

 

Luise Büchner: Die Frauen und ihr Beruf. Leipzig: Thomas. 5. Aufl. 1884, S. 9/10

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