Zur Uraufführung von  „Luise & Mathilde”, Kammerspiel von Peter Schanz 

Samstag, 12. Mai 2012, Staatstheater Darmstadt, Kammerspiele

Hier die Besprechungen von Johannes Breckner im DARMSTÄDTER ECHO und von Leopold Schuwerak im Hessischen Rundfunk

 

Der Theaterautor und Dramaturg Peter Schanz hat zur „Büchnerbiennale“, dem unermüdlichen Feiern von wahlweise Georg Büchners Geburtstag oder Todestag, ein Theaterstück geschrieben und inszeniert. Für die Dramaturgie ist Caroline Zacheiß verantwortlich. Es ist den beiden Schwestern des großen Dichters gewidmet. Die Premiere fand am Samstag im Kammerspiel des Darmstädter Staatstheaters statt, das den Charme eines Lofts mit dem Chaos eines Kulissenlagers verbindet und übernormgroße Zuschauer auf Folterstühlen quält. Folgerichtig hat Schauspieldirektor Martin Apelt auch kein Bühnenbild eingerichtet, sondern in der Mitte der Bühne eine Art Umzugsdepot aus Küche, Tisch und Bank aufstapeln lassen, das zu Beginn der Aufführung von den beiden Schwestern erst einmal zur Theaterkulisse auseinandergezogen und als Wohnungseinrichtung platziert wird.

 

Schauspieldirektor Martin Apelt bei der öffentlichen Probe vor dem zukünftigen Bühnenbild  

 

Margit Schulte-Tigges und Sonja Mustoff kommen als Frauen von heute auf die Bühne, und nach 90 Minuten werden sie die Verwandlung zu den zwei Büchnerschwestern vor dem Publikum rückgängig machen und sich zurück ins Heute begeben.

Zunächst verpuppen sich die beiden zu dem Duo, das Mitte des neunzehnten Jahrhunderts jahrzehntelang miteinander in Darmstadt lebte. Die schwesterliche Eintracht der äußerlich ganz verschiedenen Frauen zeigt sich schon beim gegenseitigen Ankleiden der zeitgemäßen schwarzen Kostüme voller Haken und Ösen, die ironische Distanz zur Rolle in der Bemerkung „jetzt könnte mal jemand den Reissverschluss erfinden“. Brav nimmt Mathilde ihren Part in der Küche an, während Luise sich mit Papier und Feder am Tisch niederlässt. Wie eine Imagination des toten Bruders Georg hat der Autor seinen Akteurinnen einen Spielmann erfunden, den sich Mathilde „von dem da oben“ wünscht. Finn Henrik Hanssen, der auf der Riedstädter Büchnerbühne in „Wenn es Rosen sind werden sie blühen“, der Adaption von Kasimir Edschmidts Büchner-Roman, gerade einen großartigen Ludwig Weidig spielt, gibt mit frischer Jugendlichkeit einen Cicisbeo mit der Gitarre. Die Tagträume der Schwestern darf er mit den geliebten Volksliedern untermalen. Nicht als Geschichtsstunde, als biographischer Essay faltet sich im Trialog das Leben der beiden Frauen auf. Schanz lässt Luise ihren Raum als bedeutender Frauenrechtlerin, ohne die Schwester Mathilde als Hausmütterchen zu denunzieren. Im Gegenteil ist der ältesten Büchnerschwester, von der außer ihrem Namenszug kaum ein Stück schriftlicher Hinterlassenschaft übrig geblieben ist, selten so sehr Recht geschehen wie hier auf der Darmstädter Bühne. Mathilde kennt und kommentiert Luises Werk und präsentiert sich glaubwürdig als die Hüterin der Familienschätze, die unglücklicherweise dem Darmstädter Feuersturm vom 11. September 1944 zum Opfer gefallen seien. Schanz hat seine Hausaufgaben gemacht – er zitiert damit eine sehr berechtigte Vermutung von Agnes Schmidt, der Vorsitzenden der Darmstädter Luise Büchner-Gesellschaft. Darüber hinaus schafft er es, Luise Büchners Denken und Arbeit mit gut gewählten Zitaten anschaulich zu machen. Auch Anspielungen auf Darmstädter Lokalkolorit in Sprache und Erzählung gelingen zur hörbaren Freude des Auditoriums, das darin übereinstimmt, dass Pralinen keinesfalls in der Vorort-Provinz Griesheim gekauft werden dürfen. Die Rückverwandlung der beiden in Frauen von heute geht einher mit Dialogen, die uns ganz die Aktualität auch dieser Büchners vermitteln; sei es in der RAF-Hysterie der siebziger Jahre oder in der für Darmstadt noch immer denkwürdigen Frauenaktion gegen einen Sexshop.

 

Zum Ende der unterhaltsamen Aufführung findet das glücklicherweise lange nicht mehr im Theater erlebte Einbeziehen des Publikums, allerdings erfreulich unaufdringlich und durchaus der Stringenz des Stückes folgend, mittels Einladung zum Abendimbiss statt. Mathilde hat Fischsuppe für alle gekocht – aus Barben natürlich.

 

Mit reichlichem Beifall bedankte sich das Publikum bei dem glänzend aufgelegten Ensemble mit Autor und Schauspieldirektor.

 

Als erfrischender Kommentar zum gelegentlich überintellektualisierten Georg Büchner-Gedenken ist dieser schönen Aufführung als Denkmal der Büchnerschwestern und als Memento der noch lange nicht am Ziel angekommenen Frauenbewegung viel Erfolg und eine lange Spielzeit zu wünschen!