Peter Brunners Buechnerblog

Monat: Dezember 2011

Und die Einen steh´n im Dunklen …

Ich komme vom Christkindlesmarkt, überall Haufen zerlumpter, frierender Kinder, die mit aufgerissenen Augen und traurigen Gesichtern vor der Herrlichkeit aus Wasser und Mehl, Dreck und Goldpapier standen.

Speisekarte des Restaurants „Au Crocodile”, Strasbourg, Januar 2009

Der Gedanke, daß für die meisten Menschen auch die armseligsten Genüsse und Freuden unerreichbare Kostbarkeiten sind, machte mich sehr bitter.

Georg Büchner, Brief an die Familie, Straßburg, 1. Januar 1836

Der 21-jährige Georg Büchner schreibt einen Weihnachtsbrief

7. An die Familie

Straßburg, im Januar 1833.

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[…] Auf Weihnachten ging ich Morgens um vier Uhr in die Frühmette ins Münster. Das düstere Gewölbe mit seinen Säulen, die Rose und die farbigen Scheiben und die kniende Menge waren nur halb vom Lampenschein erleuchtet.

Der Gesang des unsichtbaren Chores schien über dem Chor und dem Altare zu schweben und den vollen Tönen der gewaltigen Orgel zu antworten. Ich bin kein Katholik und kümmerte mich wenig um das Schellen und Knien der buntscheckigen Pfaffen, aber der Gesang alleine machte mehr Eindruck auf mich, als die faden, ewig wiederkehrenden Phrasen unserer meisten Geistlichen,

die Jahr aus Jahr ein an jedem Weihnachtstag meist nichts Gescheiteres zu sagen wissen, als, der liebe Herrgott sei doch ein gescheiter Mann gewesen, daß er Christus grade um diese Zeit auf die Welt habe kommen lassen. –

Ill.: Straßburger Münster: Fassade, Fensterrose und Detail der „Engelssäule“ 

„Adventskaffee” in der Villa Büchner war ein großer Erfolg

„ … und dann legen wir uns in den Schatten und bitten Gott um Makkaroni,

Melonen und Feigen, musikalische Kehlen, klassische Leiber und eine kommode Religion!”

läßt Georg Büchner Valerio in Leonce und Lena sagen.

 

Das Motto der ausverkauften Luise Büchner-Gesellschafts-Veranstaltung  spiegelte sich in den zahlreichen Zitaten der Büchnergeschwister zur Frage, wie sie´s mit der Religion hielten.

 Peter Kunert unterstützte mit passender Musik. Hier findet sich ein kurzer Video-Ausschnitt (Freiligrath, Trotz alledem). 

 

 

Letzter Beitrag war Luise Büchners ziemlich heidnisches „Weihnachtsmärchen”, bei der Gott zu Frau Holle und das Christkind irgendwie zu deren Tochter wird …

Hier Sigrid Schütrumpf, die den Text gewohnt bravourös vortrug:

  

 

 

Auf mehrfachen Wunsch hier dann auch der vorgetragene Ausschnitt aus Ludwig Büchners „Natur und Geist“. Ludwig Büchner veröffentlichte diese Dialoge zwischen einem Verteidiger der Religion und einem aufgeklärten Naturwissenschaftler bereits zwei Jahre nach „Kraft und Stoff“:

 

 Natur und Geist

 

Gespräch zweier Freunde über den Materialismus und über die real-philosophischen Fragen der Gegenwart.

In allgemein verständlicher Form von Dr. Ludwig Büchner Dritte verbesserte Auflage. Leipzig, Thomas, 1876

(EA 1857 – Meidinger, Ffm., 2. Aufl. 1865 – Grote, Hamm)

 

Die Schöpfung

…

 

Wilhelm:

also räumst Du der Bibel gar keine Autorität ein?

 

August:

nicht die mindeste, so weit es naturwissenschaftliche Dinge betrifft. …

 

Wilhelm:

ich will anerkennen, dass wissenschaftliche Resultate, welche einmal unzweifelhaft festgestellt sind, einen durch keine Autorität umzustoßenden Wert besitzen, und dass wir in Zweifelsfällen die Wahrheit auf der Seite der wissenschaftlichen Forschung, nicht auf diejenigen der Überlieferung zu suchen haben. Umso mehr aber muss es uns befriedigen und den Wert der biblischen Schöpfungsurkunde in unseren Augen erhöhten, dass dieselbe im wesentlichen mit dem übereinstimmt, was Geologie und Physiologie über die Entstehungsverhältnisse der Erde und ihrer Bevölkerung zu Tage gebracht haben. Wie uns diese Lehren, dass das Werk der irdischen Schöpfung nicht ein plötzliches, mit einem Male sich vollendendes gewesen sein kann, sondern sich in einzelnen abgesonderten Perioden mit stufenweiser Vervollkommnung herausbildet, als deren letztes Glied der Mensch auf die Bühne des Daseins tritt, so erzählt uns auch die mosaische Urkunde von einzelnen aufeinanderfolgenden Schöpfungstagen, an denen die Bildungen der Erdoberfläche wesentlich in derselben Reihenfolge geschehen, wie sie uns die heutige Wissenschaft kennen gelehrt hat. Gewiss eine großartige und bedeutungsvolle Erscheinung in einer Zeit, da man von den wissenschaftlichen Entdeckungen der Zukunft nicht die leiseste Ahnung besitzen konnte und weit eher geneigt sein musste, das Gegenteil zu vermuten!

 

August:

deine Fantasie scheint dir absonderliche Streiche spielen zu wollen. Wo hast du denn gelesen, die Geologie habe herausgebracht, dass die Welt, wie die Bibel erzählt, in sechs Tagen geschaffen worden sei?

 

Wilhelm:

wenn Du an dem Ausdruck der sechs Tage Anstoß nimmst, so verstehst du die bildliche Sprache der Bibel nicht. Unter diesen sechs Tagen sind keine wirklichen Tage, sondern Perioden oder überhaupt nur Zeitabschnitte zu verstehen, welche identisch sind mit dem, was die Geologie als Schöpfungsperioden bezeichnet.

 

August:

wer mit solcher Kühnheit zu interpretieren versteht, wie du, der kann freilich aus der unbestimmten und dunklen Bildersprache des Orient herauslesen, was ihm beliebt – wie es denn auch kaum irgendetwas gibt, das nicht bereits aus jenen alten Schriftdenkmalen herausgelesen worden wäre. Jene biblische Schöpfungsurkunde meint mit ihren Tagen nicht Perioden, sondern wirkliche Tage, wie aus ihrer ganzen Haltung für den Unbefangenen deutlich genug hervorgeht, und steht mit jeder ihrer Anschauungen durchaus auf den allerkindlichsten und wissenschaftlich unwahrsten Standpunkten. Sechs Tage bedurfte der außerweltliche Schöpfer, um sein Werk, die Welt, hervorzubringen, in welcher die Erde Mittelpunkt, der Himmel ihre Decke ist, und Sonne, Mond und Sterne drei Tage später als das Licht geschaffen worden sind, und in welcher alles nur zum Nutzen und Frommen des Menschen da ist. Mehr Worte mag ich über diesen Gegenstand nicht zu verlieren, denn ich halte es durchaus unter der Würde der Wissenschaft, auf derartige Vorwürfe auch nur einzugehen und Versuche zu machen, von denen man zum Voraus weiß, dass sie ebenso ungerechtfertigt als vergeblich sind. Was gegen jene mythischen Historien eine Wissenschaft an, die alle ihre Hilfsmittel nur in sich selbst zu suchen hat und die keine anderen Voraussetzungen kennt, als solche, welche aus den von ihr gemachten Entdeckungen fließen? Leider fällt es dem menschlichen Geiste häufig ungemein schwer, sich jedes Mal auf einen solchen freien und voraussetzunglosen Standpunkt zu erheben, obgleich dieser Standpunkt allein in der Wissenschaft anerkannt werden darf; und selbst unter den Gelehrten, geschweige denn unter der großen Menge, muss man mit Bedauern Männer erblicken, welche sich von den Vorgängen der irdischen Schöpfung im Wesentlichen kaum eine bessere Vorstellung machen, als die alte biblische Erzählung. Wollte man ihnen glauben, so müsste sich der ewige Urheber aller Dinge damit belustigt haben, von Zeit zu Zeit und unterbrochen durch einzelne Zwischenräume Übungen im Hervorbringen irdischer Bildungen und Umgestaltungen anzustellen und damit in steigender Vervollkommnung bis in die jüngste Zeit fortzufahren. Ich denke, allen diesen Fantastereien wird die moderne Wissenschaft bald für immer ein definitives Ende bereitet haben.

 

Wilhelm:

Ich denke im Gegenteil, das je weiter die Wissenschaft in die Tiefen der Erde und die Geschichte der Vorzeit eindringt, sie umso deutlicher die Spuren eines allmächtigen schöpferischen und schaffenden Prinzips nachzuweisen im Stande sein wird. Ich will es dahingestellt lassen, ob und inwieweit die biblische Schöpfungsurkunde mit den Resultaten der Wissenschaft in Einklang gebracht werden kann, aber soviel scheint mir doch gewiss, dass die eigentliche Idee, welche ihr zu Grunde liegt, durch die Forschungen der Geologie überall nur Bestätigung erfahren hat, und dass diese Wissenschaft, welche man so oft als Religion-und glaubensfeindlich verschrien hat, vielmehr glänzendes Zeugnis für die Allmacht des Schöpfers abzulegen im Stande ist. Die Geschichte der Erde und der untergegangenen organischen Generation hat uns Erscheinungen und Vorgänge kennen gelehrt, welche nach unseren heutigen Erfahrungen nicht mehr als natürliche Folge natürliche Ursachen zu begreifen sind, sondern mit Bestimmtheit auf die mittelbare oder unmittelbare Einwirkung übernatürlicher Prinzipien hinweisen. Während wir heute nur von einer stabilen, ruhig und in gleichmäßiger Ordnung ihren Gang fortsetzenden Naturordnung umgeben sind, in welcher die Erdoberfläche im wesentlichen überall dieselbe bleibt und das auf ihr bestehende Leben nur als eine Fortsetzung eines bereits früher bestandenen Lebens erscheint, zeigt uns die Vergangenheit im Gegenteil eine Reihe höchst gewaltiger, in einzelnen Zeitabschnitten aufeinander folgender allgemeiner Revolutionen, welche das Bestandene vernichteten und eine neue Gestaltung der Erdoberfläche mit neuen Geschöpfen, neue, von den früheren verschiedene, Lebensformen herbeiführten. Nachdem, was wir heute über die erdgestaltenden Vorgänge, insbesondere aber über die Erzeugung der Organismen auf der Erde wissen, sind diese geologische Ereignisse für unser Wissen und unseren Verstand das, was Du bei einer früheren Gelegenheit als nie und nirgends existierend bezeichnet hast, nämlich – Wunder und zwar Wunder im eigentlichen Sinne des Wortes, d.h. Ereignisse, welche nicht aus den gewöhnlichen Kräften der Natur erklärt werden können und daher einen übernatürlichen Ursprung haben müssen. Rechnest du dazu, dass jene geologischen, als ein fortgesetzter Schöpfer-Akt erscheinenden Ereignisse zugleich auf eine unverkennbarer Weise eine stufenweise Entwicklung und ein Streben zu stets gesteigerter Vervollkommnung beurkunden, ein Streben, welches gewiss niemand auf Rechnung eines bewusstlosen und mechanischen Stoffwechsel bringen wird, so dächte ich, könne man in der Geschichte der Vergangenheit den leitenden Finger einer höchsten Allmacht nicht verkennen und müsse zugestehen, dass die Kenntnis der Natur mehr zu Gott hin, als von ihm hinweg führt.

 

August:

ich bedaure, diese deine gläubigen Illusionen im Namen der Wissenschaft selbst, welche du mittelst eines durchaus falschen Verständnisses zu ebenso falschen Schlussfolgerungen benutzt hast, auf das allergründlichste zerstören zu müssen. Gerade das Gegenteil von allem, was ich jetzt von dir hörte, haben uns die Forschung in der Geschichte der Erde kennen gelehrt, und die ganze Anschauung, von der du ausgehst, gehört alten und längst überwundenen geologischen Standpunkten an. Nicht als ein fortgesetzter Schöpfungsakt, sondern als eine ununterbrochene Reihe auf denselben Gesetzen beruhender und durchaus natürlicher Vorgänge stellt sich uns die Geschichte der Erde dar, und was man früher als die so genannten Schöpfungsperioden in derselben ansah, hat sich bei einer besseren Überlegung als gar nicht existierend herausgestellt. Die Erde ist niemals wesentlich anderen und größeren Katastrophen unterworfen gewesen, als heute, und namentlich ist der Begriff allgemeiner Erdrevolutionen oder Sündfluten (besser: Sint-Fluten) mit einem vollkommenen Untergang der organischen Bevölkerung und später erneuten Schöpfung, wie uns die biblischen Erzählungen von einer solchen berichten und an deren Existenz du zu glauben scheinst, ganz aus der neueren Geologie verschwunden. Alle Umwälzungen, welche uns die Geschichte der Erde kennen lehrt, sind weder allgemeine, noch plötzliche oder überhaupt nur sehr gewaltsamer gewesen, sondern haben sich stets nur auf kleinere Teile der Erdrinde beschränkt und sind auf eine durchaus langsame und allmähliche Weise zu Stande gekommen. Niemals ist die organische Bevölkerung auf der ganzen Erde auf einmal ausgestorben,sondern ist nur an einzelnen Orten langsam untergegangen, während sie an anderen Orten sich neu bildete. Dieselben Kräfte und Vorgänge, welche noch heute an den Bau und der Umwandlung der Erdoberfläche tätig sind, – und keine anderen – sind von jeher an derselben tätig gewesen, und die Vergangenheit der Erde ist nichts weiter, als ihre auseinander gerollte Gegenwart. Nirgends bedürfen wir zur Erklärung dieser Vergangenheit der unnatürlichen Annahme eines übernatürlichen Fingers, welcher Berge aufgerichtet, Länder geebnet und ungeheure Fluten erregt hat; denn überall begegnet die Wissenschaft nur solchen Wirkungen, welche nicht nur aus den heute noch tätige Naturkräften Naturgesetzen erklärbar sind, sondern welche sogar in derselben Weise auch heute noch unter unseren Augen vor sich gehen.